Komm, ich zeig dir deine Wurzeln ...
Reise zu den Kirchenburgen und Städten Siebenbürgens

Es war uns ein großes Bedürfnis, unserer Tochter Anita (26) endlich unsere alte Heimat zu zeigen, sie einzuladen, die damaligen Lebensräume unserer Eltern und Großeltern nachzuempfinden und nach Möglichkeit, auf deren Spuren zu wandeln. Es galt, Eindrücke zu gewinnen, wie z.B. unsere Schulwege aussahen, sei es früher zu Fuß in Brenndorf oder später mit dem Bus in die Stadt (Kronstadt). Die Spielstätten in der Kindheit und später die Aufenthalte im Dorf oder in der Stadt während unserer Jugend sollten ein Bild unseres dortigen Lebens abgeben.
Den Zeitpunkt unserer Reise wählten wir nicht zufällig. Es war das zweite Heimattreffen in Brenndorf, welches am 4. August 2018 angesetzt war, aus Anlass der ersten urkundlichen Erwähnung von Brenndorf im Jahr 1368.
Wir traten die Reise gemeinsam mit Freunden am 25. Juli an. Wir wählten die Anreise per Flugzeug, um die wertvolle Zeit nicht auf dem Weg, sondern im Land zu verbringen. Unser erster Aufenthalt war Hermannstadt, mit zwei Übernachtungen, um dieser schönen Stadt auch genügend Zeit zu widmen. Wir wohnten sehr zentral am Kleinen Ring und genossen in der Früh den wunderbaren Blick aus dem Fenster auf den Kleinen Ring mit der Lügenbrücke und abends die pulsierende Stadt mit den flanierenden Menschen und den vielen Restaurants, die zum Verweilen einluden.
Um uns die im Jahre 2007 zur Europäischen Kulturhauptstadt gekürte Stadt professionell vorstellen zu lassen, buchten wir eine zweistündige, deutschsprachige Stadtführung, die wir nicht bereuen. Auf diese Weise konnten wir Hermannstadt kurz und kompakt kennenlernen. Außerdem genossen wir in diesen beiden Tagen leckere, traditionelle Gerichte in Restaurants, flanierten durch die netten Gassen und historischen Stiegen, besuchten die Stadtpfarrkirche und bestiegen deren Turm, um auch von oben einen Blick auf Herrmannstadt zu genießen. Richtig romantisch empfanden wir das Verweilen in einem Straßencafé an der Lügenbrücke bei einem Glas Aperol und den Klängen einer Klavierspielerin. Unser Fazit: Hermannstadt kann sich als etablierte, europäische Kulturhauptstadt sehen lassen. Wir werden wieder kommen.
Am Freitag, dem 27. Juli, nahmen wir unser bereits in Deutschland gebuchtes Mietfahrzeug in Empfang. Es musste ein großes Fahrzeug, ausreichend für sieben Personen und Gepäck für zehn Tage sein. Also freuten wir uns auf unsere Weiterreise mit einem Kleinbus, einem 9-Sitzer. Als Erstes steuerten wir Birthälm an, wo drei Übernachtungen geplant waren.
Von hier aus wollten wir in den nächsten drei Tagen Ausflüge tätigen: Schäßburg, Rohrbach (Geburtsort meines Vaters und Ferienstätte meiner Kindheit), Mergeln (Geburtsort von unserem mitreisenden Freund), Kleinschenk (Heimatort eines Bruders meines Vaters), Reps (Verwandte unserer Freundin leben noch dort). Außerdem war ein Abstecher in Deutsch-Weißkirch geplant. Die Burg, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, und deren berühmte Bewohnerin Sara Dootz wollten wir uns auf keinen Fall entgehen lassen.
Auf dem Weg von Hermannstadt nach Birthälmbesuchtigten wir die Kirchenburg in Wurmloch. Die Wehrkirche wurde im 14. Jahrhundert gebaut und gehört seit 1999 ebenfalls zum UNESCO-Welterbe.
Weiter ging es Richtung Seiden an der Kleinen Kokel. Der Vater unserer Freundin lebte hier. Wir durften hier sogar in das Elternhaus und konnten schon mal den ersten sächsischen Hof mit dazugehörigem Garten besichtigen. Ein Spaziergang durch das Dorf gewährte unserer Tochter und ihrer Freundin den ersten Einblick in ein sächsisches Dorf. Über Mediasch fuhren wir weiter und erreichten abends Birthälm.
Der Samstag war fast gänzlich Schäßbug gewidmet, nicht aber bevor wir am Vormittag die stolze Kirchenburg in Birthälm besichtigten. Birthälm war 1572 bis 1867 Sitz des Bischofs der Evangelischen Kirche. Die mächtige Burganlage mit drei Ringmauern, zwei Zwingern und etlichen Wehrtürmen gilt als eine der größten Siebenbürgens. 1993 wurde sie als erste siebenbürgische Kirchenburg in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen.
Schäßburg, die wunderschöne mittelalterliche Stadt, war an diesem Wochenende fest in der Hand von mittelalterlichen Darstellern. Wie jedes Jahr fand am letzten Juliwochenende das mittelalterliche Festival statt. Die einzige bewohnte Burg Europas verwandelt sich dabei in eine bunte, lebendige, mittelalterliche Welt. Die kleinen Gassen der alten Burg füllen sich mit Menschen in mittelalterlichen Kostümen, die verteilt auf der ganzen Burg Tänze aufführen und musizieren. Durch diesen mittelalterlichen Dschungel führte uns eine gute Freundin, die in Schäßburg lebt. Geschickt gelang es ihr, uns trotz der „lauten Nebengeräusche“ das „eigentliche“ Schäßburg näherzubringen, was wir sehr genossen. Wir besichtigten das Wahrzeichen Schäßburgs, den Stundturm, liefen entlang der Ringmauer, gingen über die Schülertreppe zur Bergkirche und zum Josef-Haltrich-Gymnasium, besuchten die evangelische Stadtpfarrkirche. Einen bunten Abschluss machten die Zunftgassen mit den bunten Häusern. In der Unterstadt schlossen wir den tollen Tag mit einem Abendessen mit traditionellen Gerichten ab.
Am nächsten Tag brachen wir Richtung Rohrbach (Heimatort meines Vaters) auf.
Erster Aufenthalt war Mergeln. Wir liefen durch das Dorf, durften ins Großelternhaus unseres Freundes, besuchten die Gräber der Verwandten und fuhren weiter Richtung Kleinschenk. Die Kirchenburg in Kleinschenk ist wunderschön, der Innenhof von vielen Blumen (überwiegend Dahlien) geschmückt. Vom Kirchenturm hatten wir einen traumhaften Ausblick auf das Dorf und den „Hattert“. Der Burghüter, den wir hier antrafen, wohnt zufällig im Haus meines Onkels, so dass wir dort vorbeischauen und sogar dort essen und Kaffee trinken konnten. Wir durften unsere eigene Brotzeit auftischen, da wir uns am Zibinsmarkt in Hermannstadt mit Käse, Tomaten, Speck, Zwiebeln, Brot und Sacusca eingedeckt hatten. Wir fühlten uns „wie zu Hause“ und wie „früher“ bei meinem Onkel. Genau dieses Gefühl der Gastfreundschaft, die uns hier entgegengebracht wurde, wollten wir unseren Kindern vermitteln.
Nun ging‘s weiter nach Rohrbach, dem Heimatort meines Vaters und dem Dorf, in dem ich unzählige Ferienwochen verbracht habe, mein zweites Zuhause. Auch hier besichtigten wir die Kirche und Kirchenburg, gingen durch die Straßen und erklärten meiner Tochter, wer wo gewohnt hat. In das Elternhaus meines Vaters durften wir auch kurz rein, die Bewohner waren auch hier sehr freundlich und zuvorkommend.
Nach einer weiteren Übernachtung in Birthälm brachen wir am nächsten Morgen Richtung Kronstadt auf. Zwei Zwischenziele waren unterwegs angedacht: Deutsch-Weißkirch, mit Besuch der Kirchenburg, einem traditionellem Mittagessen in einem Schuppen eines sächsischen Hauses und nicht zuletzt einem Besuch bei der 82-jährigen Sara Dootz, die uns in einer wunderbaren, erfrischenden Art ihre Lebensphilosophie unterbreitete. Sehr aufschlussreich war auch der Nachmittag bei Verwandten unserer Freunde in Reps, wo wir viel über das heutige Leben in Rumänien erfuhren.
Spät abends erreichen wir unser Hotel in Kronstadt. Wir freuen uns auf fünf Tage in Kronstadt, Brenndorf und diverse Ausflüge.
Nach drei Tagen überwiegend dörflichen Eindrücken erwartete uns eine europäische Stadt mit all den Vorzügen einer modernen Stadt. Unser Hotel ließ nichts zu wünschen übrig. Wir wohnten oberhalb von Kronstadt und genossen vom dazugehörigen Swimmingpool aus einen wundervollen Blick auf die Stadt und Zinne mit dem Schriftzug „Brașov“.
Der nächste Tag war Kronstadt gewidmet. Wir flanierten durch die Obere Vorstadt, die Altstadt, machten Mittagspause am Marktplatz, liefen durch die Purzengasse, Michael-Weiß-Gasse und verbrachten eine Stunde im Kaufhaus „Star“, da es gerade regnete. Ein Höhepunkt dieses Tages war der Besuch des Honterus-Gymnasiums. Es gelang uns, trotz Ferienzeit, in Schulklassen reinzugehen, in der Schulbank zu sitzen und auch die Aula zu besuchen. Hier fanden seinerzeit u.a. unser Tanzkurs mit der berühmten Frau Hamrodi, diverse schulische Veranstaltungen, aber auch Abi-Abschlussprüfungen statt. Ein sehr ergreifender, erinnerungsträchtiger Abstecher.
Abends genossen wir ein Orgelkonzert in der Schwarzen Kirche mit dem Organisten Eckart Schlandt. Den ereignisreichen Tag ließen wir mit einem traditionellen Abendessen in einem beliebten rumänischen Restaurant ausklingen.
Tags darauf fuhren wir über die Schulerau zur Törzburg (Bran). Ziel für unsere Jugend: Ein für allemal die Dracula-Legende aufklären! Dank einer sehr guten Privatführung, glaube ich, ist dies gelungen. Eigentlich war für diesen Tag auch Natur eingeplant: PlaiulFoii mit Königsteinblick. Das Wetter machte uns jedoch einen Strich durch die Rechnung, also disponierten wir kurzerhand um und fuhren nach Tartlau: Die berühmte, und wie ich finde, die schönste Kirchenburg, begeistert uns alle. Auch sie gehört zum Welterbe der UNESCO.
Zweites Heimattreffen in Brenndorf
Endlich: Brenndorf! Aus Tartlau fuhren wir über Honigberg nach Brenndorf. Hier hatten wir bei Manfred ein Abendessen reserviert. Davor aber besuchten wir Hugos Elternhaus. Wir hatten auch hier Glück, sehr freundliche, offenherzige Gastgeber anzutreffen, die uns durch Hof, Garten und Keller führten. In Brenndorf herrschte eine vertrauliche Abendstimmung, die Abendsonne tauchte das Dorf ins tollste Licht. Just in diesen Minuten liefen, wie auf Knopfdruck bestellt, die Kühe auf der Straße heimwärts in ihre Höfe. Wir freuten uns sehr, auch für unsere Tochter, diese kurzen Augenblicke erleben zu dürfen.
Das Abendessen bei Manfred war sehr gemütlich. Im Pfarrhaus hatten sich bereits einige Gäste für das bevorstehende Treffen am Wochenende eingefunden. Zufrieden und glücklich, endlich Brenndorf wiedergesehen zu haben, ging es nun wieder nach Kronstadt in unser Hotel. Die Vorfreude auf einen ausgiebigeren Tag in Brenndorf, der am nächsten Tag anstand, war geschürt.
In Brenndorf liefen wir bewusst die meisten Gassen zu Fuß ab, um so viel wie möglich zeigen und vermitteln zu können. Auf dem Friedhof hatte Anita nun erstmalig die Möglichkeit, am Grab ihrer Oma, die sie leider nie kennengelernt hat, zu stehen. Ein ergreifender Moment.
Während unseres Bummels durchs Dorf ergaben sich unzählige Möglichkeiten, unserer Tochter das frühere Leben zu schildern. Auch hier ein unerwarteter Höhepunkt: Wir konnten in den Hof der Grundschule und in den Turnsaal reingehen. Viele Erinnerungen drängten sich auf. Auch die Eigentümer in meinem ehemaligen Elternhaus empfingen uns sehr freundlich. Den frischen, noch warmen Tomatensaft, den die Gastgeberin gerade einweckte, durften wir gleich probieren und als Wegzehrung mitnehmen. In der Sommerküche roch es wie früher. Es war sehr aufregend für uns, mit Anita hier zu sein, im Hof, Haus und Garten. Etwas schwebte noch in der Luft von der Kindheit und Jugend, die ich hier verbracht hatte.
Wir verabschieden uns erstmal von Brenndorf, um in Kronstadt das Bahnhofsviertel und Bartholomä, die Heimat unserer Freunde, zu erkunden. Der Besuch der Zinne mit einem fantastischen Blick auf Kronstadt und das Burzenland wurde zum Höhepunkt dieses Tages. Wir belohnten uns für die doch sehr aktiv verbrachten Stunden in der Stadt mit einem Ausklang auf dem Marktplatz. Es gab Zitronenlimonade, Zitronenlimonade und nochmal Zitronenlimonade. Es war sehr heiß!
Vor unserer bevorstehenden Abreise bot uns Kronstadt noch eine Überraschung: über einige Lautsprecher auf dem Marktplatz ertönte Tangomusik. Einige Paare fackelten nicht lange und zeigten ihre besten Tanzkünste. Es waren Gänsehautmomente, die wir in Kronstadt, der „Königin der Städte in Rumänien“, erleben durften.
Am Samstag, dem 4. August, traten unsere Freunde bereits die Heimreise an, während wir wieder nach Brenndorf fuhren, um an unserem kleinen Heimattreffen teilzunehmen. Das 650-jährige Jubiläumsfest wurde mit einem zweisprachigen Gottesdienst, deutsch und rumänisch, gefeiert. Auf diese Weise konnte unsere Tochter einen lebendigen, schönen Gottesdienst in unserer Kirche erleben und unser christliches Leben in unserer Heimat nachvollziehen. Nach dem Gottesdienst gab es einen vorzüglichen Brunch auf dem Pfarrhof, den Manfred und seine Heinzelmännchen zubereitet hatten. Es war ein sehr schöner, festlicher Tag in vertrauter Umgebung.
Fazit: Dieser Heimaturlaub, der das Ziel hatte, auf den Spuren unserer Eltern und Großeltern zu wandeln, war sehr ereignisreich, emotional und wunderschön. Von unserem Leben in Siebenbürgen hatten wir unserer Tochter in den Jahren zuvor schon sehr oft berichtet. Auf unserer Reise konnten wir ihr nun unser Heimatgefühl direkt vermitteln, und sie konnte eigene Eindrücke gewinnen. Ich danke Anita und ihrem Freund Marius dafür, dass sie sich Zeit für diese Reise genommen haben. Vielleicht war es ja nicht das letzte Mal.
Dietlinde Rhein