Die Botschaft von dem Kind in der Krippe will uns neue Kraft geben
Grußwort zu Weihnachten von Pfarrer Helmut Kramer
Es gibt Weihnachtsfeste, an denen wir die Trauer um einen lieben Menschen, den wir verloren haben, tiefer und schmerzlicher verspüren als am Gedenktag der Entschlafenen. Immer wieder bin ich in Gesprächen mit trauernden Angehörigen mit der Frage konfrontiert: „Wie können wir in diesem Jahr mit unserem Schmerz Weihnachten feiern? Eigentlich ist uns gar nicht danach zumute.“
Der Schriftsteller und Pfarrer Axel Kühner, vielen für seine Kurzgeschichten bekannt, hat einmal mit einer Kindheitserinnerung eine deutliche Antwort auf solche Fragen gegeben. Er erzählt, wie er die Vorweihnachtszeit als Vierjähriger im Jahre 1945 erlebt hat.
Zusammen mit den Geschwistern freute er sich auf Weihnachten, den Zauber und das Geheimnis. Nicht große Geschenke wollten die Kinder erwarten, sondern auf die kleinen Dinge freuten sie sich: auf den Baum und den Schmuck, die Lichter und den Glanz, auf die festlich geschmückte gute Stube und den weihnachtlichen Duft, der sonst das Haus erfüllte. Gleichwohl spürten die Kinder, dass in jenem Jahr Schwermut in der Luft lag: Der Vater war in russische Gefangenschaft geraten und es gab keine Nachricht und kein Lebenszeichen von ihm. So spürten die Kinder, dass die tiefen Schatten im Gesicht ihrer Mutter kein gutes Zeichen sein konnten.
Dann kam der Heilige Abend mit der ganzen Geschäftigkeit des Vormittags. Die Kinder rannten aufgeregt durch die Wohnung und konnten die Zeit des Wartens bis zum Abend kaum noch ertragen. Der Postbote brachte Briefe, darunter einen, der die Aufmerksamkeit der Mutter auf sich zog. Sie setzte sich an den Küchentisch, öffnete ihn, begann zu lesen und brach in Tränen aus: Ein ehemaliger Kriegskamerad ihres Mannes teilte ihr in dem Schreiben mit, dass ihr Gatte in einem russischen Gefangenenlager erkrankt und bereits im Oktober verstorben sei.
Die Kinder stürmten in die Küche und erschraken über die weinende Mutter. Es dauerte seine Zeit, bis sie den Grund ihrer Tränen begriffen. Bestürzung und Trauer lähmten die Runde. Daraufhin fragte das Jüngste der Kinder in die ganze Ratlosigkeit hinein: „Mutti, fällt Weihnachten jetzt aus?” Die Mutter nahm ihren Jüngsten in den Arm und sagte kurz entschlossen: „Nein, jetzt feiern wir erst recht Weihnachten!” Und dann erlebten die Kinder, wie ihre Mutter die Traurigkeit und das Leid jener Tage zu überbrücken suchte, indem sie Weihnachten für die Kinder besonders sorgfältig und behutsam gestaltete.
Was jener kleine Junge damals gesagt bekam, gilt eigentlich auch heute noch. Gerade dann, wenn wir persönlich betroffen sind von Tod und Trauer, von Not, Angst und Sorgen, gerade dann gilt uns das Wort: „Euch ist heute der Heiland geboren.“ Gerade deswegen soll Weihnachten uns nicht bedrücken und schwermütig machen, sondern ganz im Gegenteil: die Botschaft von dem Kind in der Krippe will uns aufrichten und neue Kraft geben. Und wenn die Trauer um einen lieben Menschen uns auch an dem diesjährigen Fest zu schaffen macht, dürfen wir ihm in Gedanken nachschicken: „Du gehst nicht verloren.“
Mit dem Kirchenliederdichter Paul Gerhardt sind deshalb auch wir eingeladen mitzusingen (EG 36, 2-5.7):
„2. Heute geht aus seiner Kammer Gottes Held, der die Welt reißt aus allem Jammer. Gott wird Mensch dir, Mensch, zugute, Gottes Kind, das verbind’t sich mit unserm Blute.
3. Sollt uns Gott nun können hassen, der uns gibt, was er liebt über alle Maßen? Gott gibt, unserm Leid zu wehren, seinen Sohn aus dem Thron seiner Macht und Ehren.
4. Er nimmt auf sich, was auf Erden wir getan, gibt sich dran, unser Lamm zu werden, unser Lamm, das für uns stirbet und bei Gott für den Tod Gnad und Fried erwirbet.
5. Nun er liegt in seiner Krippen, ruft zu sich mich und dich, spricht mit süßen Lippen: ‚Lasset fahrn, o liebe Brüder, was euch quält, was euch fehlt; ich bring alles wieder.‘
7. Die ihr schwebt in großem Leide, sehet, hier ist die Tür zu der wahren Freude; fasst ihn wohl, er wird euch führen an den Ort, da hinfort euch kein Kreuz wird rühren.“
Ich wünsche allen, den Traurigen und den Fröhlichen, ein gesegnetes Weihnachtsfest.
Pfarrer Helmut Kramer