Reinhold Kreisel: Vom Leistungssportler zum Leistungsgärtner

Reinhold Kreisel beim Weitsprung: bei der Leichtathletik-Landesmeisterschaft in Bukarest, 1937

Mein Vater, Reinhold Kreisel, Jahrgang 1915, hatte sein Leben dem Leistungssport verschrieben. Schon während seiner Gymnasialzeit nahm er an vielen Leichtathletikwettkämpfen teil und erreichte Höchstleistungen auf nationaler Ebene während seines Studiums an der Sporthochschule in Bukarest: 1940 wurde er Landesmeister im Zehnkampf. In Anerkennung seiner Leistungen durfte er bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin als Mitglied der rumänischen Delegation teilnehmen. Die rumänischen Sportler haben damals nicht aktiv teilgenommen.

Er hatte großes Glück, den Zweiten Weltkrieg unverwundet zu überleben, aber mit seinen Träumen von einer sportlichen Karriere als Leichtathletiktrainer war es nun zu Ende.

1970 in der Brückengasse, Hausnummer 78, in Brenndorf, Foto: Helga Kreisel

Sein Vater war sehr früh, 1921, gestorben und seine Mutter mit fünf Kindern im Alter von 3 bis 17 Jahren zurückgeblieben. Um studieren zu können, verkaufte er einen großen Teil seines geerbten Grundbesitzes, so dass er später auch nicht unter die „Chiaburi“(Großgrundbesitzer) fiel und wie viele andere Familien evakuiert wurde. Trotzdem konnten sich meine Eltern mit viel Arbeit und Fleiß, mit Landwirtschaft und einer Arbeitsstelle als Buchhalter in der Zuckerfabrik einiges ansparen, um sich später ein eigenes Haus (den sogenannten Kirkahof in der Brückengasse) zu kaufen.

Im Jahre 1955 fing mein Vater als Sportlehrer an der Volksschule in Brenndorf an. Bald darauf durfte man überhaupt keinen privaten Landbesitz mehr haben und so trat mein Vater auch seinen restlichen Grundbesitz an den Staat ab.

In der Nachkriegszeit war es von großem Vorteil, wenn man ein eigenes Haus mit großem Garten besaß, um etwas Vieh zu halten für den täglichen Bedarf an Eiern, Milch, Fleisch und um Gemüse und Obst anzubauen.

Durch den Wegfall der Landwirtschaft wurde das Leben meiner Mutter ab nun etwas leichter. Mein Vater hatte als Lehrer jetzt mehr Zeit und widmete sich in seiner Freizeit seinem neuen Hobby, dem Anbau von Obst und Gemüse, im Besonderen aber auch von Rosen. Von Pfarrer Walter Albert hatte er das Veredeln gelernt und es machte ihm Spaß, die unterschiedlichsten Edelrosen zu züchten, Obstbäume zu veredeln und überall wo nur möglich Weinreben anzubauen. Nach einigen Jahren hatten wir so viel Obst, dass wir auch verkaufen konnten, obwohl auch viel eingekocht und Wein gemacht wurde. Ein riesengroßer Nussbaum stand auch im Hof, da wurde die Hilfe meines Mannes Konrad bei der Ernte sehr gerne angenommen. Mein Vater war zwar sehr sportlich, aber Klettern war nicht unbedingt seine Stärke.

Nach der Pensionierung meines Vaters konnten meine Eltern mit meinem Bruder im August 1976 in die Bundesrepublik ausreisen, ich und meine Familie folgten Ende Januar 1977.

Reinhold Kreisel freut sich an seinem üppig blühenden Garten im Frühjahr 1993 in Engelskirchen-Bickenbach.

Anfangs ließen sich meine Eltern in Hückeswagen nieder, uns zog es des Arbeitsplatzes wegen nach Köln. Meine Mutter erhielt eine Stelle als Leiterin des evangelischen Kindergartens und mein Vater war Hausmann. Er war es nicht gewohnt, keine „richtige“ Beschäftigung zu haben, suchte sich ehrenamtliche Arbeit als Trainer der Jugendhandballmannschaft, Mädchen und Jungen, im Sportverein Hückeswagen. Aber es fehlte der Garten. Als in Engelskirchen-Bickenbach eine neue Siedlung mit ziemlich großen Grundstücken erschlossen wurde, ließen sich meine Eltern mit meinem Bruder Ortwin dort nieder. Ab da wurde mein Vater Gärtner aus Leidenschaft. Das Grundstück lag in sehr schöner Südhanglange, zur Gartennutzung mussten aber Terrassen angelegt und der Boden verbessert werden. Das war ein hartes Stück Arbeit. Jedes Fleckchen Erde wurde ausgenutzt. Obwohl das Klima im Bergischen Land für Wein- und Obstbau nicht gerade günstig und auch der Boden nicht so fruchtbar wie im Burzenland ist, experimentierte mein Vater, fand während eines Urlaubs an der Schwarzmeerküste eine Rebsorte, die wunderbar schmeckte und oh Wunder unempfindlich ist, nicht gespritzt werden muss. Diese Sorte haben auch wir in Köln seit vielen Jahren und erfreuen uns jedes Jahr an den leckeren Trauben, denken dabei auch oft an meinen Vater.

Auch in Bickenbach wuchsen die Trauben prächtig, mein Vater nannte den selbstgemachten Wein, in Anlehnung an den Kaiserstuhl, spaßeshalber den „Kreiselstuhl-Wein“. Außerdem wuchsen Brombeeren, Erdbeeren, weiße und rote Himbeeren, rote und schwarze Johannisbeeren, Josta, Preiselbeeren und sogar Kulturheidelbeeren. Dem „grünen“ Daumen meines Vaters war es wahrscheinlich zu verdanken, dass die sehr anspruchsvollen Heidelbeeren sehr ertragreich waren.

Dazwischen wuchsen die verschiedensten Sorten an Busch- und Spalierobst, wie z.B. Batull aus Brenndorf. Aber nicht nur Äpfel, sondern auch Birnen, Pflaumen, Pfirsiche, Quitten und Nüsse waren zu finden. Bei allem blieb auch noch Platz für Gemüse, Kartoffeln, ein Glashaus für Tomaten und Gurken und nicht zuletzt für Blumen, Sträucher, wunderschön blühende Azaleen und Rhododendren.

Mit beiden Händen geht die Ernte schneller voran: Reinhold Kreisel erntete immer mit einem kleinen Eimer um den Hals, 1993 in Bickenbach.

Ein kleiner Platz war für eine Baumschule reserviert, wo Obstbäume herangezogen wurden, später veredelt, oft Batulläpfel, die dann an Interessierte weitergegeben wurden. Auch Stecklinge von den Weinreben wurden hier zu jungen Weinstöcken herangezogen.

Für die Bewässerung hatte sich mein Bruder Ortwin ein ausgeklügeltes System ausgedacht, so dass beinahe nur mit aufgefangenem Regenwasser bewässert werden konnte.

Mit den Nachbarn verstanden sich meine Eltern prächtig. Da es ein neues Bebauungsgebiet war, waren es meist junge Nachbarn, die sich angesiedelt hatten und sich von meinem Vater gerne in Gartenfragen beraten ließen. Andererseits halfen die Nachbarn, wenn zum Beispiel eine Fahrgelegenheit benötigt wurde, denn die Eltern hatten kein Auto.

Bald kamen Verwandte aus Brenndorf nach Drabenderhöhe und Engelskirchen, die sich mit viel Fleiß und Arbeit in kurzer Zeit ebenfalls Eigenheime mit Garten bauten. Das Leben war dadurch auch geselliger geworden, man traf sich öfters zu Familienfeiern, zu freudigen und traurigen Anlässen. Meine Eltern nahmen regen Anteil an der jüngeren Generation, den Nachkommen ihrer Geschwister und deren Partnern. Wenn Not am Mann war, besonders als meine Eltern älter wurden, genügte ein Anruf auf die Drabenderhöhe und Berthold mit Annerose, manchmal auch Norbert halfen tatkräftig mit. Ihre Hilfe wusste später auch Ortwin zu schätzen.

Birgit Klein freut sich über die schöne rote Rübe vom Hochbeet, 2018 in Köln.

In Köln besitzen wir nur einen kleinen Garten, den wir optimal ausgenutzt haben. In den Anfangsjahren stand uns mein Vater mit Rat und Tat zur Seite und bald wurde die Gartenarbeit auch für mich ein großes Hobby. Schon Anfang der 80er Jahre errichtete Konrad im Garten ein großes Hochbeet. Wir hatten in einer Gartenzeitschrift davon gelesen, damals waren die Hochbeete noch nicht so populär, besorgten uns weitere Literatur und bauten das Hochbeet nach Anleitung. Es wurde ein Riesenerfolg, einmal was den Ertrag anging, zweitens war es auch eine immense Arbeitserleichterung. Weil ich so begeistert war, folgte nach einigen Jahren das zweite Hochbeet.

Anfangs verfolgten unsere Nachbarn unser Tun mit Skepsis („Lohnt sich das?“ „Es gibt doch alles recht preiswert zu kaufen, wozu die anstrengende Arbeit“ usw.), später kam Anerkennung und heute werden wir um Rat gebeten, wenn der eine oder andere Nachbar sich statt Koniferen einen Obstbaum pflanzen will. Gerne nehmen sie auch unseren Überschuss an Salaten, Gemüse und Kräutern an.

Inzwischen teilen wir uns die Gartenarbeit, Konrad hat auch Freude daran gefunden und viel dazugelernt. Das Erbe meines Vaters lebt in Köln weiter.

Birgit Klein