Der Inbegriff einer sächsischen Lehrerin: Zur Erinnerung an Gertrud Heinrich

Gertrud Heinrich im Alter von 96 Jahren an ihrem „24. Geburtstag“, dem 29. Februar 2024. Foto: Hans Karl Heinrich

Geboren am Schalttag, nämlich am 29. Februar 1928 in Brenndorf, verbrachte Gertrud Heinrich, geborene Dworschak, ihre Kindheit und Grundschulzeit in dieser stattlichen Gemeinde. Schon früh war ihr Berufswunsch klar: Lehrerin. Ihr Werdegang war erschwert durch Kriegs- und Nachkriegszeit.

Drei Mal wurde das Schulwesen drastisch verändert. Gertrud Dworschak besuchte das Gymnasium ab der 5. Klasse an einer Mädchenschule in Hermannstadt, dann wechselte sie zum Evangelischen Lehrerinnenseminar nach Schäßburg. Der „Zusammenbruch“ 1944 bedeutete das vorläufige Ende des Seminars, aber nicht das Ende ihres Berufstraums. Nach zweijähriger Unterbrechung konnte sie die Ausbildung an der „Gemischten Pädagogischen Schule mit deutscher Unterrichtssprache“ in Schäßburg fortsetzen und 1949 mit der „Matura“, – die gängige Bezeichnung für das Abitur – beenden. Sie trat ihre erste Arbeitsstelle in Marienburg an, nach einem Jahr wechselte sie nach Weidenbach, wo sie ihr gesamtes Berufsleben verbringen sollte. Hier heiratete sie 1952 den Weidenbächer Hans Heinrich. Nach der Geburt ihrer beiden Söhne, Hans Karl und Manfred, pausierte sie sechs Jahre lang. Mit neuem Elan kam sie an die Schule zurück. Wie viele ihrer Generation, die noch zu „Frau Lehrerin“ bzw. „Herr Lehrer“ ausgebildet wurden, meisterte sie tapfer die Anfechtungen und Schikanen, Vorschriften, Einschränkungen und Ungerechtigkeiten des kommunistischen Regimes, das sie nun als „Genossinnen und Genossen im Lehramt“ titulierte.

Gertrud Heinrich hat ihre Schüler geliebt, jeden Herbst die erwartungsfrohen strahlenden Gesichter in Empfang genommen. Zwar kostete die Lehrkräfte die von oben verordnete „Kulturarbeit“ für Erwachsene zusätzlich Zeit, aber sie machte sie gerne, organisierte Leseabende, Theateraufführungen und ließ sich auch nicht darin beirren, für die Gemeinschaft etwas auf die Beine zu stellen, was Freude machte. Ebenso unterstützte sie ihren Mann beim Einsatz für die Kirchengemeinde. Wie hieß es so schön: Die Männer aus Presbyterium und Gemeindevertretung „beredeten“ sich, ihre Frauen organisierten Nachbarschaftshilfe und Feste. Im Kirchenchor hat Gertrud Heinrich auch gesungen. Was sie auszeichnete: Sie erbrachte ihre Einsätze verlässlich und vielseitig, gehörte aber zu denen, die das nicht an die große Glocke hängen.

1983 wurde die allseits geschätzte Lehrerin in den Ruhestand verabschiedet, es begannen die Oma-Jahre und, nach der großen Auswanderungswelle, die Zeit in der zweiten Heimat in Hessen. In Langenselbold brachte sie sich ehrenamtlich in der evangelischen Frauenarbeit und im Seniorenkreis ein. Die Söhne lebten mit ihren Familien in der Nähe, bei Familienfesten sorgten eine Enkeltochter und vier Enkelsöhne für Unterhaltung. Gerne unternahmen Gertrud und Hans Reisen mit der Kirchengemeinde ins In- und Ausland, die Treffen mit den lieben Freunden, dem „Kränzchen“ aus der Heimat, wurden natürlich auch immer besucht. Ein kleiner Schrebergarten wurde in zunehmendem Alter eine Insel der Ruhe und Entspannung. Am 19. September 2024 ist sie in Hanau im gesegneten Alter von 96 Jahren (24 „richtige“ Geburtstage hat sie in den Schaltjahren gefeiert) sanft entschlafen, acht Jahre nach dem Heimgang ihres Ehemannes.

Ich möchte damit schließen, indem ich sie selbst zu Wort kommen lasse. Anlässlich ihres 50-jährigen Matura-Jubiläums hat sie im Rückblick auf ihr Leben formuliert: „Jeder Tag ist Leben, jeder Tag ein Geschenk, und dafür bin ich dankbar.“

Machen wir uns dies auch zu Eigen. Behalten wir Gertrud Heinrich in dankbarer Erinnerung.

Gudrun Römer