Eine hervorragende Kindergärtnerin: Zum Gedenken an Helga Kreisel zum hundertsten Geburtstag
Zurzeit liest und hört man in den Medien viel über die Bildungsmisere in unserem Land, marode Einrichtungen, fehlendes Personal, zu wenige und teilweise zu teure Kitaplätze und einiges mehr. Warum ist ein Kindergarten bzw. heute eine Kita so wichtig für unsere Kleinsten? Welche Rolle spielen die Erzieher und Erzieherinnen?
Im Jahre 1840 gründete Friedrich Fröbel, ein Schüler Pestalozzis (1746-1827), in Bad Blankenburg/Thüringen den ersten Kindergarten der Welt. Fröbel umschrieb die Wortneuschöpfung „Kindergarten“ so: „Wie in einem Garten unter Gottes Schutz und unter der Sorgfalt erfahrener, einsichtiger Gärtner im Einklang mit der Natur, so sollen hier die edelsten Gewächse, Menschen, Kinder als Keime und Glieder der Menschheit, in Übereinstimmung mit sich, mit Gott und der Natur erzogen werden.“
Das Wort Kindergarten ist ein Germanism, wurde z.B. auch nach England exportiert. Im Rumänischen wird das Diminutiv von Garten benutzt „grădiniţă“.
Maria Montessori u.a. Pädagogen entwickelten das Konzept der frühkindlichen Erziehung weiter. Montessori Kindergärten und Schulen gibt es heute noch.
Friedericke Schiel, eine Kronstädter Stadtpfarrerstochter, besuchte 1873-1874 das Gothaer Kindergärtnerinnenseminar, anschließend schickte sie auch ihre Schwester und ihre Cousine zur Ausbildung nach Gotha. Damit begann die Entwicklung des Kindergartens auch in Siebenbürgen. In Kronstadt wurde 1879 der erste Kindergarten Siebenbürgens gegründet und 1884 ein Seminar zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen.
Eine bedeutende Rolle in der Entwicklung des Kindergartenwesens in Siebenbürgen spielte die gebürtige Hermannstädter Lehrerin Adele Zay (1848-1928). Aus Adele Zays „Theorie und Praxis des Kindergartens. Zum Gebrauch an Bildungsanstalten für Kindergärtnerinnen und Kinderbewahranstaltsleiterinnen, Brassó-Kronstadt 1916“: „Der Kindergarten bietet im Verein mit dem Elternhaus dem Geist des Kindes die entsprechende Nahrung… Er erhält durch fröhliche Lieder, Spiele und Erzählungen die kindliche Heiterkeit und befriedigt durch den Verkehr mit altersgleichen Gefährten den Spieltrieb des Kindes und sein Verlangen nach körperlicher Bewegung.“
Zu Recht kann man behaupten, dass wir in Siebenbürgen ein zeitgemäß fortschrittliches Bildungswesen hatten, auch was die Ausbildung des Lehrkörpers betraf.
In den sächsischen Dörfern, so auch in Brenndorf, gab es den Erntekindergarten, angepasst an die Bedürfnisse der bäuerlichen Bevölkerung. Das änderte sich Anfang der 60er Jahre, als der Großteil der Einwohner nicht mehr in der Landwirtschaft arbeitete und die Ferien im Kindergarten sich an den Schulferien orientierten.
Hier möchte ich nun an „Helgatante“ erinnern, wie sie von Jung und Alt in Brenndorf genannt wurde. Helga Kreisel, geborene Schartner, war von 1960-1976 Kindergärtnerin in Brenndorf.
Vor 100 Jahren, am 24. Januar 1924, kam sie in Deutsch-Kreuz (rumänisch Criţ) als zweites Kind von Auguste, Lehrerin, und Franz Schartner, evangelischer Pfarrer in Deutsch-Kreuz, zur Welt. Nach dem frühen Tod des Vaters Anfang 1928 zog ihre Mutter mit den beiden Kindern nach Kronstadt, wo sie eine Stelle als Lehrerin im evangelischen Waisenhaus annahm.
Obwohl sie innerhalb des Waisenhauses eine eigene kleine Wohnung hatten, vollzog sich das Leben dort wie in einer großen Gemeinschaft mit gemeinsamen Mahlzeiten und nach festen Regeln. Natürlich genossen die beiden Kinder auch gewisse Freiheiten, besonders als sie ins Schulalter kamen und einen Freundeskreis außerhalb des Waisenhauses hatten.
Das Leben dort hat Helga Kreisel nachhaltig geprägt, bestimmte Eigenschaften, die in ihr veranlagt waren, noch verstärkt, wie z.B. Hilfsbereitschaft, Gemeinschaftssinn, Rücksichtnahme, großes Einfühlungsvermögen, aber auch einen lebenslangen Respekt vor Autoritäten. Meine Mutter besuchte von 1935-1940 das Mädchengymnasium und von 1940-1944 die Kindergärtnerinnen-Bildungsanstalt (KBA) in Kronstadt. Es war mitten im Krieg, die Männer fehlten überall, viele, auch ihr Bruder Otto, fielen an der Front oder gerieten in Gefangenschaft.
Im Mai 1944 heiratete Helga Schartner den Brenndörfer Sportlehrer Reinhold Kreisel. Das junge Paar wollte sich in Kronstadt niederlassen, doch als Folge des Krieges durfte mein Vater einige Jahre nicht mehr als Lehrer arbeiten. Deshalb zogen sie auf den elterlichen Kreiselhof nach Brenndorf. Was als vorübergehende Lösung gedacht war, wurde zum Dauerzustand, Helga Kreisel wurde Brenndörferin.
Die Nachkriegsjahre waren bekanntlich sehr schlimm für die sächsische Bevölkerung. Meine Mutter hatte als Hochschwangere das Glück, nicht nach Russland deportiert zu werden. Für mich sehr beeindruckend ist, wie sie als 20-jährige Städterin, frisch von der Schule, die kaum kochen und backen konnte, gewöhnt war an fließendes Wasser und Gasheizung, plötzlich und notgedrungen das harte Leben einer Bäuerin bewältigt hat, dazu noch ohne Rückhalt und Unterstützung einer eigenen Familie. Und das alles unter den strengen Augen der tüchtigen Schwiegermutter und der restlichen Kreisel-Verwandtschaft.
Einige Jahre lebten meine Eltern von dem Stück Land, das mein Vater geerbt hatte, und als er eine Stelle als Buchhalter in der Zuckerfabrik annahm, oblag es meiner Mutter, die Saisonarbeiter zu beaufsichtigen, zu verköstigen, dazu gehörte auch, 13 riesige Bauernbrote in regelmäßigen Abständen zu backen. Sie hat alles gelernt, manches perfektioniert: Kühe gemolken, einige Jahre sogar Schweine bei der GOSTAT gefüttert und vieles mehr. Manchmal, wenn ihr alles zu viel wurde, zog sie mir meine guten Kleider an und fuhr mit mir nach Kronstadt, um ihre Mutter und einige Verwandte zu besuchen.
Das Leben wurde einfacher, als mein Vater Mitte der 50er Jahre wieder als Lehrer arbeiten durfte, sie den sogenannten Kirka-Hof kauften und als Folge der fortschreitenden Kollektivisierungsmaßnahmen ihren landwirtschaftlichen Besitz dem Staat „schenkten“.
Zu meiner Kindergartenzeit, Anfang der fünfziger Jahre, gab es aus Mangel an Kindern keinen deutschen Kindergarten. Das änderte sich zum Glück einige Jahre später, und als 1960 die Stelle als Kindergärtnerin frei wurde, wurde meine Mutter für die Brenndörfer zur „Helgatante“.
Für meine Mutter standen die Kinder immer im Mittelpunkt, sie versuchte ihre Talente zu fördern, gemäß ihrer Überzeugung, dass jedes Kind besondere Begabungen vorzuweisen hätte, man musste diese nur entdecken.
Eine gute Zusammenarbeit mit den Eltern hatte für sie absolute Priorität und aus Gesprächen mit ehemaligen Kindergartenmüttern und -kindern habe ich erfahren, dass Helgatante sich großer Beliebtheit als Kindergärtnerin erfreute. Sie bemühte sich stets die Aufenthaltsräume ansprechend zu gestalten, abhängig von Jahreszeit und Ereignis. Zu Hause wurde dafür viel gebastelt.
Mit jeder Kindergartengruppe wurden kleine Theaterstücke und Lieder eingeübt, womit die Kinder bei den jährlich stattfindenden Aufführungen im Gemeindesaal ihr Können zeigen konnten. Die Eltern, hauptsächlich die Mütter, halfen fleißig beim Nähen der Kostüme und vielleicht auch manche Väter bei der Herstellung von Requisiten. Es war immer ein besonderes Ereignis, wenn die lieben Kleinen auftraten und die Eltern, Großeltern stolz zuschauten.
Zu Recht kann man behaupten, dass wir in Siebenbürgen ein zeitgemäß fortschrittliches Bildungswesen hatten, auch was die Ausbildung des Lehrkörpers betraf.
In den sächsischen Dörfern, so auch in Brenndorf, gab es den Erntekindergarten, angepasst an die Bedürfnisse der bäuerlichen Bevölkerung. Das änderte sich Anfang der 60er Jahre, als der Großteil der Einwohner nicht mehr in der Landwirtschaft arbeitete und die Ferien im Kindergarten sich an den Schulferien orientierten.
Hier möchte ich nun an „Helgatante“ erinnern, wie sie von Jung und Alt in Brenndorf genannt wurde. Sie war von 1960-1976 Kindergärtnerin in Brenndorf.
Vor 100 Jahren, am 24. Januar 1924, kam sie in Deutsch-Kreuz (rumänisch Criţ) als zweites Kind von Auguste, Lehrerin, und Franz Schartner, evangelischer Pfarrer in Deutsch-Kreuz, zur Welt. Nach dem frühen Tod des Vaters Anfang 1928 zog ihre Mutter mit den beiden Kindern nach Kronstadt, wo sie eine Stelle als Lehrerin im evangelischen Waisenhaus annahm.
Obwohl sie innerhalb des Waisenhauses eine eigene kleine Wohnung hatten, vollzog sich das Leben dort wie in einer großen Gemeinschaft mit gemeinsamen Mahlzeiten und nach festen Regeln. Natürlich genossen die beiden Kinder auch gewisse Freiheiten, besonders als sie ins Schulalter kamen und einen Freundeskreis außerhalb des Waisenhauses hatten.
Das Leben dort hat Helga Kreisel nachhaltig geprägt, bestimmte Eigenschaften, die in ihr veranlagt waren, noch verstärkt, wie z.B. Hilfsbereitschaft, Gemeinschaftssinn, Rücksichtnahme, großes Einfühlungsvermögen, aber auch einen lebenslangen Respekt vor Autoritäten. Meine Mutter besuchte von 1935-1940 das Mädchengymnasium und von 1940-1944 die Kindergärtnerinnen-Bildungsanstalt (KBA) in Kronstadt. Es war mitten im Krieg, die Männer fehlten überall, viele, auch ihr Bruder Otto, fielen an der Front oder gerieten in Gefangenschaft.

Um den Kindern noch mehr Abwechslung zu bieten, besuchte meine Mutter einen Fortbildungskurs in Kronstadt zur Herstellung von Puppen fürs Puppentheater. Ihre Puppen, darunter auch viele Tiere, wurden von Jahr zu Jahr immer perfekter und genossen große Beliebtheit. Sie motivierte ältere Schülerinnen, wie Christa Olesch, Edith Klees, Hedda Reis, Hildegard Klein, Adelheid Klöss, Gerda Tontsch und vielleicht auch noch andere, die einmal wöchentlich in der Bücherei für öffentliche Aufführungen probten. Mit dem Puppentheater fuhr die Truppe auch zu Aufführungen übers Land, einmal auch zu einem Wettbewerb nach TârguSecuiesc. Mit dabei war auch Waltraut Klusch, die eine Zeitlang als zweite Kindergärtnerin arbeitete. Mit ihr und später auch mit Erika Mechel verstand sich Helgatante sehr gut. Im Gespräch sagte Erika: „Helgatante war eine Seele von Mensch, immer hilfsbereit und verständnisvoll.“
Etwas schwieriger war das Auskommen mit der Direktorin Frau Dragoman, die besonders in der Anfangszeit ein richtiger Drachen sein konnte und meiner Mutter manchen Stress bereitete. Mit ihrer Nachfolgerin Adina Tărţălaș wurde es dann wesentlich einfacher, sie begegneten sich auf Augenhöhe und blieben auch nach der Ausreise meiner Eltern nach Deutschland im Sommer 1976 in Kontakt.
In der Zeit als Kindergärtnerin in Brenndorf von 1960-1976 erfuhr meine Mutter seitens der Brenndörfer Wertschätzung und Anerkennung und fasste endgültig Fuß im Dorf, wurde zur Brenndörferin.
Anfang August 1976 reisten meine Eltern mit meinem Bruder in die Bundesrepublik Deutschland aus und standen plötzlich vor ganz neuen Anforderungen. Voller Beherztheit und Entschlossenheit stellten sie sich den neuen Gegebenheiten. Zu der Zeit gab es noch nicht überall die Kitas, auch herrschte kein Personalmangel in den Kindergärten. Auf der Suche nach einer Stelle in einem Kindergarten wurde meiner Mutter die Stelle als Kindergartenleiterin im evangelischen Kindergarten in Hückeswagen im Bergischen Land angeboten. Zur Eingewöhnung hätte sie eine einfache Stelle als Kindergärtnerin vorgezogen und rückblickend hat sie es auch bedauert, nicht noch weiter gesucht bzw. gewartet zu haben.
Schon im Oktober 1976 trat Helga Kreisel die Stelle als Kindergartenleiterin an. Es war eine große Herausforderung, jetzt war sie nicht mehr die „Helgatante“ für die Kinder, sondern Frau Kreisel, es wurde sehr auf die Form geachtet und eine gewisse Distanz zu den Eltern gewahrt. An und für sich kam meine Mutter mit den Kindern gut zurecht, behielt auch das Herstellen neuer Puppen fürs Puppentheater bei und erfreute damit die Kinder. Richtig glücklich wurde sie in dem Kindergarten aber nicht, zu viel Neues stürmte in kurzer Zeit auf sie ein und das in bereits vorgerücktem Alter. Was ihr besonders zu schaffen machte, war das gespannte Verhältnis zu ihren jungen Kolleginnen, die überhaupt nicht zur Kooperation bereit waren. Meine Mutter, die immer hilfsbereit war und ihren Mitmenschen viel Empathie entgegenbrachte, kam mit dem egoistischen Verhalten ihrer Kolleginnen schlecht zurecht. Sie kündigte die Stelle Ende 1979, danach war sie bis zur Rente arbeitslos.
Nur ein halbes Jahr nach den Eltern, Ende Januar 1977, konnte ich mit meinem Mann und den beiden kleinen Kindern, zur großen Freude meiner Eltern, ausreisen. Arbeitsbedingt ließen wir uns in Köln nieder.
Bei seiner Ausreise war mein Vater schon Rentner, aber mit 61 Jahren noch sehr rüstig und voller Tatendrang. Ein Haus, möglichst mit großem Garten, wurde im Umkreis von Köln gesucht. Fündig wurden meine Eltern in Engelskirchen-Bickenbach, wo Ende der siebziger Jahre eine Neubausiedlung entstand. 1982 konnten sie in ihr neues Heim einziehen.
Da es unter den Bewohnern der neuen Siedlung keine Alteingesessenen gab, die, wie so oft, gewisse Vorrechte für sich beansprucht hätten, herrschte unter den Anwohnern eine nette, ungezwungene Atmosphäre und die Familie Kreisel fühlte sich bald richtig heimisch in Bickenbach. Ein Lehrerehepaar suchte bald eine Tagesmutter für ihre beiden kleinen Kinder und wandte sich an meine Mutter, die dazu die besten Qualifikationen als Kindergärtnerin mitbrachte. Diese Tätigkeit, manchmal waren es je nach Stundenplan auch nur wenige Stunden am Tag, machte Helga Kreisel viel Freude und die Familie blieb ihr lebenslang freundschaftlich verbunden.
Die Eltern hatten ein reges gesellschaftliches Leben und pflegten ihre Kontakte zu Verwandten, Freunden und Bekannten. Einen Teil der Ferien verbrachten unsere Kinder gerne bei den Großeltern in Bickenbach. Die Anwohner aus der Siedlung kamen regelmäßig zu jedem Geburtstag gratulieren, wurden nett mit „Kreisel-Wein“ und belegten Brötchen/ Gebäck bewirtet und bei der Feier der Goldenen Hochzeit waren alle dabei, kümmerten sich auch um das Schmücken des Hauses.
Auch ehrenamtlich engagierte sich Helga Kreisel in der evangelischen Gemeinde, ging in den Turnverein und nahm an einer Frauen-Volkstanzgruppe teil. In der Adventszeit wurde dort auch immer gefeiert und meiner Mutter wurde der Tischschmuck übertragen, nachdem die Frauen festgestellt hatten, wie wunderschöne Kreationen sie basteln konnte. Jedes Jahr war eine Überraschung.
Mit seinem Garten war mein Vater vollkommen ausgelastet. Er wurde dabei von meinem Bruder Ortwin tatkräftig unterstützt, und beide verspürten keine große Reiselust. Meine Mutter aber umso mehr. Wir haben sie dann viele Jahre auf unseren Reisen mitgenommen, besonders unser Jüngster hat es sehr genossen, seine geliebte Oma dabei zu haben.
Nach dem Tod meines Vaters 2005 zog meine Mutter zu uns nach Köln, unsere Kinder waren schon alle aus dem Haus, hatten zum Teil auch schon eigene Familie. An ihren drei Urenkelkindern konnte sie sich auch noch einige Jahre erfreuen. Helga Kreisel starb am 7. Februar 2014 im Alter von 90 Jahren in Köln.
Birgit Klein