Kann Sprache Heimat sein?

Beliebte Seite aus dem Bilderbuch „Saksesch Wält e Wirt uch Beld“ mit dem Esel auf der Brücke.

In Vorbereitung auf meinen Literaturkurs, den ich innerhalb des Seniorennetzwerks in unserem Stadtteil Porz-Zündorf für Senioren ehrenamtlich anbiete, beschäftigte ich mich mit dem aus Masuren/Ostpreußen stammenden Schriftsteller Siegfried Lenz. Dabei stieß ich auf folgende Aussage von ihm: „Für viele Menschen ist Heimat eine Entdeckung der Fremde. Solange man in einem Ort lebt, in Übereinstimmung mit den Nachbarn, mit den Kindern, mit der Familie, wird Heimat überhaupt nicht zum Problem. Problemhaft wird Heimat erst dann, wenn man von ihr separiert ist.“

Wir leben seit 44 Jahren in Köln, länger als wir in Siebenbürgen gelebt haben, unser jüngster Sohn ist hier geboren, die anderen beiden waren bei der Ausreise noch Kleinkinder.

Für uns war es selbstverständlich, auch in Deutschland innerhalb der Familie sächsisch zu sprechen, unsere Kinder haben das nie in Frage gestellt. Als sie älter wurden, bestanden sie sogar darauf. Unser ältester Sohn spricht mit seiner Tochter von ihrer Geburt an sächsisch und inzwischen versteht es auch seine Frau, die von zu Hause die hessische Mundart kennt. Den Jüngsten, er war vielleicht 5-6 Jahre alt, konnten wir überzeugen, zu einem Besuch mitzukommen, als wir ihm sagten, dass die Familie auch sächsisch spricht.

Wir wurden und werden öfters gefragt, was das für eine Sprache sei, die wir untereinander sprechen. Je nach Gelegenheit lasse ich mich auf ein Gespräch ein, erkläre, wenn Interesse besteht, den Ursprung der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben, dass wir einen deutschen Dialekt sprechen, ähnlich wie Kölsch (nicht zu verwechseln mit der Bierart), auf das die gebürtigen Kölner sehr stolz sind, was sich auch im Kölner Karneval bemerkbar macht. Ich brauche an die vielen anderen Dialekte, die in den verschiedenen Landesteilen Deutschlands gesprochen werden, gar nicht zu erinnern. Genauso wie in jedem siebenbürgischen Ort eine etwas andere Mundart gesprochen wird, aber von uns immer als ein siebenbürgisch-sächsischer Dialekt erkannt und auch verstanden werden kann.

Es gab Tendenzen in Siebenbürgen, besonders in den Städten, aber auch hier in Deutschland, nur noch Hochdeutsch zu sprechen. Man galt als ungebildet, wenn man Dialekt sprach. Wir Aussiedler aus Siebenbürgen und dem Banat wollten uns in der neuen Heimat, schnellstmöglich integrieren, dazugehören. Besonders oft stellten Kinder den Gebrauch der Mundart in der Familie in Frage, da rundherum nur hochdeutsch gesprochen wurde.

Da haben sich die Auffassungen inzwischen geändert, Dialekte werden als große Bereicherung der deutschen Sprache, überhaupt jeder Sprache angesehen.

Was bedeutet der siebenbürgisch-sächsische Dialekt für uns hier in Deutschland?

Da erinnere ich an die nordfriesische Schriftstellerin Dörte Hansen, in deren Roman „Mittagsstunde“ das Thema Dialekt (in dem Fall nordfriesisches Platt) und Hochdeutsch einen wichtigen Raum einnimmt. Gefragt, was die nordfriesische Mundart für sie bedeute, sagte Dörte Hansen: „Es ist vor allem ein Raum, in dem man sich ganz und gar zu Hause fühlt. Für mich ist Plattdeutsch sprechen wie ein sprachliches Wohnzimmer. Ich komme nach Hause und kann meine Hausschuhe anziehen und ich bin mit Menschen, die Platt mit mir sprechen, ob ich sie kenne oder nicht, ein Stück vertrauter als mit Leuten, mit denen ich Hochdeutsch spreche.“

Genauso empfinde ich es auch, treffender hätte ich es nicht ausdrücken können. Spricht man miteinander in einer Mundart, wird eine Nähe markiert zwischen den Beteiligten, ein Zugehörigkeitsgefühl stellt sich automatisch ein.

Dazu möchte ich ein passendes Ereignis aus näherer Vergangenheit erwähnen. Im letzten Oktober haben mein Mann und ich eine Busreise nach Prag unternommen. Privat unterhielten wir beide uns auf Sächsisch, und während eines Rundgangs trat eine Teilnehmerin auf uns zu und erkundigte sich, woher wir ursprünglich kämen. Es stellte sich heraus, dass sie aus Bartholomä/Kronstadt stammte, mein Jahrgang war und dass wir gemeinsame Bekannte haben, und zwar meine Schulfreundinnen aus Bartholomä, mit denen ich in Kronstadt zusammen auf dem Lyzeum (Gymnasium) war. Sie war mit ihnen in der Volksschule zusammen gewesen. Und schon waren wir in ein reges Gespräch verwickelt.

Kann Sprache Heimat sein?

Von einigen Schriftstellern habe ich gelesen, dass sie ihre Heimat in der Sprache gefunden hätten (z.B. Siegfried Lenz). Auch die aus Siebenbürgen stammende Iris Wolff äußerte sich einmal in einem Gespräch in dieser Richtung.

Für mich und wahrscheinlich auch für viele meiner Landsleute bedeutet unsere siebenbürgisch-sächsische Mundart eine Verbindung zur alten Heimat. Es ist nicht nur die Sprache, die wir mitgebracht haben. Auch die rumänische Sprache, die man manchmal unterwegs hört, ruft Erinnerungen hervor. Unsere traditionellen siebenbürgischen Gerichte, zusammen mit den sehr beliebten rumänischen Speisen, wie Sarmale, Mici, Ciorbă de Perișoare, Vinete usw. werden gerne bei den verschiedensten Anlässen angeboten.

Otto Gliebe, der verdienstvolle ehemalige Vorsitzende der „Dorfgemeinschaft der Brenndörfer“ hat die Bedeutung des Brenndörfer Dialekts für unsere Gemeinschaft erkannt und nach zeitaufwendiger und mühevoller Arbeit das „Wörterbuch der Brenndörfer Mundart“ herausgegeben. Mit dem Untertitel: „Wei as Brȯnnjdeufǝrn dǝr Schnuewǝl gǝwueßǝn as. Ә Klȯng, wei eust dǝheum“.

Dieses Werk kann nicht genug gewürdigt werden. Für die Mundart gibt es keine Schriftsprache, man kann fern der alten Heimat , wo man diese nur in der Familie oder im engeren siebenbürgischen Bekanntenkreis sprechen kann, seine Kenntnisse nicht durch Lesen von Büchern auffrischen. Schon seinerzeit in Kronstadt haben die Kronstädter oft keinen „reinen“ Dialekt gesprochen, immer wieder wurden auch deutsche Wörter „versächsischt“ verwendet und dieses Phänomen setzte sich hier in Deutschland verstärkt fort. Mir sind z.B. selten gebrauchte Begriffe wie Namen von Blumen, Vögeln u. a. ganz entfallen, so dass ich dann einfach den hochdeutschen Namen verwende.

Nun, Sprache war schon immer lebendig und hat sich verändert, das erleben wir täglich in den Medien. Manchmal brauchen ältere Menschen ein englisch-deutsches Wörterbuch, um die vielen Anglizismen verstehen zu können.

Zum Abschluss möchte ich mich noch beim Vorstand der „Dorfgemeinschaft der Brenndörfer“ (HOG Brenndorf) bedanken, für seine ehrenamtliche Arbeit und seinen Einsatz für die Gemeinschaft. Es ist wunderbar, dass eine jüngere Generation mit viel Elan die Arbeit von Otto Gliebe & Co nahtlos übernommen hat und weiterträgt.

Ausdrücklich erwähnen möchte ich auch die inhaltsreichen und informativen Briefe aus Brenndorf sowie die Karten, die die Verantwortlichen der Dorfgemeinschaft anlässlich verschiedener Anlässe verschicken. Sie sind ein schönes Zeichen der Zusammengehörigkeit der Brenndörfer.

Birgit Klein