Kindheitserinnerungen an Weihnachten in Brenndorf

In ihrem Roman „Die Unschärfe der Welt“ erzählt die aus Siebenbürgen stammende Autorin Iris Wolff auf meisterhafte Weise die Geschichte einer Familie über vier Generationen hinweg. Für die Großmutter Karolin hat sie „die Kammer der Erinnerungen“ entstehen lassen, mit vielen Türen, wohin Karolin sich zurückzieht, wenn sie mit der Gegenwart unzufrieden ist.
Mich hat dieses Bild sehr angesprochen. Jeder hat so eine Kammer, die mit dem Alter immer voller wird, mit immer zahlreicheren Türen. Manche Türen öffnet man gerne und oft, nicht nur wenn man mit dem gegenwärtigen Leben unzufrieden ist, andere Türen hält man am liebsten verschlossen und möchte sich mit den dort gelagerten Erinnerungen nicht mehr auseinandersetzen.
Aber wie schon Adolf Meschendörfer in seinem Gedicht „Gute Nacht“ sagte, holen uns die Erinnerungen mit zunehmendem Alter in schlaflosen Nächten ein:
Ich liege oft viel Stunden lang
Und grüble meinem Leben nach.
Ich zähle, wäge Wunsch und Tat,
Verdientes Glück, verdiente Schmach.
Ende November, wenn die Tage immer kürzer werden, die Adventszeit beginnt und Weihnachten naht, öffne ich gerne mal die Tür zu meinen Erinnerungen, auf der „Weihnachten“ steht. Dann gehe ich zurück in meine frühe Kindheit nach Brenndorf. Mit unseren Erinnerungen ist das so eine Sache: manches entspricht der Wirklichkeit, manches ist auch Fantasie oder aus Erzählungen der Eltern übernommen.
Die Adventszeit war für uns Kinder eine Zeit der Erwartung, der geheimnisvollen Vorfreude. Anfang der 50er Jahre gab es nicht Adventskalender, gefüllt mit Schokolade und anderen Leckereien oder sogar kleinen Geschenken. So etwas konnte man nicht kaufen, man musste sich selbst helfen, basteln. Meine Schwiegermutter hatte in der Kriegszeit einen kleinen Adventskalender mit entzückenden Bildern für ihre Kinder gemacht, den später unsere Kinder auch sehr geliebt haben und immer sehr darauf achteten, wer morgens an der Reihe war zum Umblättern. Er existiert noch in der Familie, nun in dritter Generation, etwas abgegriffen, aber immer noch sehr beliebt.
In den Orten gab es auch keine geschmückten Tannenbäume und Lichterketten an den Häusern, aber einen selbst hergestellten Adventskranz mit roten Kerzen hatten wir immer. An den Adventssonntagen wurde es dann festlich wenn zuerst eine, dann später die nächste Kerze angezündet wurde, wir sangen Advents- und Weihnachtslieder, meine Mutter begleitete uns auf der Flöte.
Sobald ich schreiben konnte, schrieb ich dem Christkind einen Wunschzettel und legte ihn dem Nikolaus ins Fenster zum Mitnehmen. An meine Wünsche kann ich mich nicht mehr erinnern, aber sie waren in der Zeit bestimmt bescheiden.
Zum Kindergottesdienst mit Pfarrer Walter Albert bin ich immer sehr gerne gegangen. Ich war in der ersten Klasse, da gab es die deutsche Schule noch als solche und wir probten mit Pfarrer Albert Weihnachtslieder für den Gottesdienst am Heiligen Abend. An die Generalprobe und den Gottesdienst am 24. Dezember kann ich mich noch gut erinnern. Es war ein großer Chor, die Klassen 5-7 waren zahlenmäßig gut besetzt, nur die unteren Klassen waren damals kaum zwei Handvoll.
Es wurden auch Weihnachtsgedichte vorgetragen, ich war auch unter den Vortragenden. Obwohl ich das Gedicht zu Hause und in der Generalprobe gut aufsagen konnte, war ich doch aufgeregt in der vollen Kirche, bei festlicher Beleuchtung nicht den Faden zu verlieren.
Am Heiligabend gab es auch immer die Weihnachtsbescherung für die Kinder mit dem wunderschönen Brenndörfer Nikolaus, Äpfel, Nüssen und Süßigkeiten. Diesen besonderen Nikolaus gibt es in Brenndorf noch immer, jetzt aber für alle Gemeindemitglieder. Anschließend liefen wir mit unserem Päckchen nach Hause, aufgeregt und voller Freude.
Soweit meine Erinnerungen reichen, sehe ich auf dem Heimweg die Schneeflocken fallen, die Straßen waren mit einer dicken Schneeschicht bedeckt. In späteren Jahren sollte sich das ändern, es gab öfters Weihnachten ohne Schnee.
Das Besondere an Weihnachten in Brenndorf (bei meinem Mann Konrad war es zu Hause in Kronstadt auch so Brauch) war, dass wir den geschmückten Tannenbaum erst am Heiligabend zu sehen bekamen, er gehörte praktisch zur Bescherung dazu. Die gute Stube wurde an dem Tag abgeschlossen, für die Ankunft des Christkinds vorbereitet (ich habe mir komischerweise nie die Frage gestellt, warum nur Erwachsene das Christkind sehen durften) und wir vertrieben uns die Zeit in der gemütlichen, warmen Küche. Das Leben auf dem Dorf spielte sich tagsüber vorwiegend in der Wohnküche, die genug Platz für eine mehrköpfige Familie bot, ab. Der große Küchenofen wurde morgens mit Holzscheiten bestückt, angezündet und in der kalten Jahreszeit den ganzen Tag befeuert. Wenn wir Kinder aufstanden, war es schon gemütlich warm.
Nach dem Gottesdienst durften wir also in die gute Stube, es duftete nach Tanne, Kerzenwachs von den brennenden Kerzen und anderen weihnachtlichen Gerüchen. Da standen wir dann mit leuchtenden Augen, sagten brav unser Weihnachtsgedicht auf und sangen zusammen ein paar Weihnachtslieder. Dann durften wir die Geschenke auspacken. Oft waren auch praktische Sachen darunter, etwas zum Anziehen und auch das eine und andere Spielzeug. Für unsere Eltern haben wir auch etwas gemalt, oder später mal einen Schal gestrickt.
Geschenkpapier mit Weihnachtsmotiven gab es damals nicht zu kaufen, aber man hat sogar dieses, damals kostbare Papier über die Jahre aufbewahrt, das Aufpacken der Geschenke geschah unter größter Sorgfalt, und im nächsten Jahr wurde das Papier wieder verwendet. Diese Angewohnheit hat sich mir tief eingeprägt, ich bewahre schönes Geschenkpapier immer noch auf. Bei der Verknappung der Rohstoffe in der letzten Zeit ist es vielleicht nicht so verkehrt.
Ein Weihnachtsfest ist mir noch deutlich in Erinnerung. Ich war schon in der dritten Klasse, spielte eigentlich nicht mehr mit Puppen, aber unter dem Weihnachtsbaum saß die hübscheste Puppe, die mir bis dato zu Gesicht gekommen war. Sie kam von meiner Großtante aus Deutschland, hatte blonde Haare, zu einer Gretchenfrisur geflochten, konnte die Augen bewegen und weinen und hatte ein schönes Dirndl an. Ich habe sie Gretchen getauft und viele Jahre später war sie auch in unserem Gepäck, als wir nach Deutschland ausreisten.
Zu Weihnachten gab es natürlich immer ein Festessen. Die Vorbereitungen fingen schon Wochen vorher an, es wurde ein Schwein geschlachtet, für die Erwachsenen viel Arbeit, für uns Kinder viel Abwechslung mit dem Höhepunkt des „Fleckenessens“, ein besonderes Ritual beim Schlachten. Das Fleisch wurde kurz beidseitig gebraten, dann musste ein Könner ran, der das Fleisch auf einem großen Brett in der Mitte des Tisches in kleine Stücke schnitt. Dazu wurden Palukes und Sauerkraut gegessen.
Gebacken wurde in der Vorweihnachtszeit auch viel, allerlei Kekse, vor allem Honigkekse und viele Arten Kleingebäck.
Am ersten Weihnachtstag gingen wir Kinder zu unseren Verwandten, um angenehme Feiertage zu wünschen und vor dem jeweiligen Weihnachtsbaum unser Gedicht aufzusagen. Als Belohnung wurde Gebäck aufgewartet und es gab auch einen kleinen Geldbetrag, was für uns aber eine bedeutende Sache war. Als Kinder erhielten wir von den Eltern nämlich kein Taschengeld.
Die Honigkekse und das Kleingebäck nach Siebenbürger Art sind bei uns immer noch Tradition zu Weihnachten, ebenso wie das gemeinsame Singen von Weihnachtsliedern.
Hoffen wir, dass es dieses Jahr wieder möglich sein wird mit der Großfamilie zu feiern. Frohe Weihnachten!
Birgit Klein